A3 Kaschmir
Kaschmir ist auch eine Lebensart
Wenn wir über die Kaschmir-Wolle reden, können wir uns unmöglich darauf beschränken, ihre besondere Qualität zu beschreiben und auch zu loben.
Der Name Kaschmir bedeutet mehr, er ist fast eine Weltanschauung, Signal für eine Lebensart. Denn Kaschmirprodukte sind niemals schreiend bunt, sie haben es nicht nötig, sich mit den hektischen Fieberkurven einer aktuellen Mode zu messen. Sie stehen für sich, sind verlässlicher Bestandteil einer hochstehenden, konservativen Bekleidungskultur.
Der Kaschmirpulli präsentiert sich gern im klassisch-einfachen Schnitt und dezenten Farben, verbirgt sich zudem noch unter einem edlen Jackett. Kaschmir-Fans lieben das, was die Engländer als Understatement bezeichnen, wobei sie freilich nicht ungern sehen, wenn die profane Bezeichnung Kaschmir durch das ebenfalls englische „Cashmere“ ersetzt wird.
Wir haben es hier also mit einer Besonderheit zu tun, die allerdings Tradition hat. So berichtet Brehm in seiner Ausgabe des „Illustrierten Tierleben“ 1898: „Obwohl nun in der Neuzeit in Europa viel Kaschmirschals aus echter Kaschmirwolle nachgemacht und dadurch der Preis etwas herabgedrückt worden ist, zahlt der Kenner doch noch für echte Ware gern erstaunlich hohe Preise. Denn diese Schals sind nicht nur bloß ein Gegenstand des Luxus, sondern ein überaus nützliches Kleidungsstück, weil sie, trotz ihrer Feinheit und Leichtigkeit, einen vorzüglichen Schutz gegen Kälte gewähren. Schon an Ort und Stelle werden die Schals mit 400 bis 500 Talern bezahlt: In Europa kosten sie, der vielen Steuern wegen, mindestens das Doppelte. Die Morgenländer verlangen von einem echten Kaschmirschal, dass man das gesamte Mittelstück durch einen Fingerring hindurch ziehen kann, bezahlen dann aber auch ohne Bedenken eine für uns geradezu unglaubliche Summe für solche ausgezeichnete Ware.“
Die Haare werden von den Ziegen gerupft
Soweit das Hohelied auf die Kaschmir-Wolle. Wenden wir uns nun ganz profanen Fragen zu, woher dieses Wundermaterial stammt. Produzent ist eine Ziege, die recht klein und zierlich ist. Körperhöhe zwischen 70 und 90 cm, Gewicht von 25 bis 40 Kilo. Ihre Heimat ist die indische Provinz Kaschmir, wo vom 16. bis 19. Jahrhundert Kaschmirwolle zu feinsten Schals und Tüchern verwebt wurde. Die von Brehm so bewunderten Schals waren also nicht gestrickt.
Heute leben diese Ziegen auch in Afghanistan, China, dem Irak, der äußeren Mongolei, Persien, der Türkei und der UdSSR (Kasachstan und Usbekistan).
Am liebsten ist diesem Tier das Höhenklima zwischen 3000 und 5000 Metern. Die Kaschmirziegen werden in kleinen Herden gehalten. Ihre Gesamtzahl wird auf 16 bis 20 Millionen geschätzt.
Das Haarkleid der Kaschmirziege besteht vor allem aus über 13 cm langen, relativ groben Oberhaaren und einem sehr feinen, nur 3 bis 9 cm langen Unterhaar. Dieses Unterhaar liefert im Winter den Schutz gegen Kälte und wird im Frühjahr von der Haut abgestoßen. Es lässt sich in diesem Zeitraum auskämmen oder ausrupfen. Nur die Perser scheren die Kaschmirziegen wie Schafe.
Die ausgekämmten Unterhaare sind noch mit den gröberen Oberhaaren vermischt, die im Erzeugerland von Hand aussortiert, hierzulande aber maschinell ausgekämmt werden. Der Ertrag einer Kaschmirziege beträgt im Jahr je nach dem Zuchttyp zwischen 80 und 250 Gramm der begehrten Unterhaare. Das ist unglaublich wenig, wenn man bedenkt, dass z. B. ein Angorakaninchen im gleichen Zeitraum das Vierfache an Wolle liefern kann.
Weil sich die Menge der Ziegen nicht beliebig vermehren lässt, bleibt Kaschmir-Wolle also Mangelware und damit entsprechend wertvoll.
Es darf also kein Gramm davon verloren gehen. Deshalb wird Kaschmirhaar sogar von Büschen und Felsen gesammelt, an denen sich die Ziegen im Frühjahr reiben, um das ihnen lästige Haarkleid loszuwerden.
Die feinsten und besten Qualitäten stammen übrigens aus China, das jährlich etwa 900.000 Kilo exportiert. Die äußere Mongolei liegt etwas darüber und Persien kommt auf ca. 2 Millionen Kilo. Persische Kaschmirwolle ist etwas gröber als die aus China und der Mongolei.
Der größte Teil der Unterhaare ist weiß. Das hat den Vorteil, dass sie sich besonders gut färben lassen. Allerdings bringt die ungewöhnliche Feinheit der Fasern einige technische Schwierigkeiten für die Färber mit sich. Weitere Farben sind gelb bis hin zu dunkelbraun und schwarz.
Kaschmir wird gern mit Wolle gemischt
Die importiere Kaschmirwolle wird zum Teil als Webgarn verarbeitet. Daraus werden vor allem Spezialtuche und sehr feine, weiche Damenkleiderstoffe hergestellt.
Der größte Teil geht allerdings in die Herstellung von Strickgarnen. Dabei ist eine Mischung mit Schafwolle fast obligatorisch. Das hat zwei Gründe: Einmal wird das Garn robuster und zum Zweiten wird es erschwinglicher.
Dabei ist die feinste Merino-Wolle (also vom Schaf) der Faser der Kaschmirziege gar nicht so unähnlich. Sie sind nahezu identisch. Es ist also nicht leicht, beide Qualitäten auf Anhieb voneinander zu unterscheiden.
Deshalb wird Kaschmir auch wie Wolle gepflegt.
Dennoch: Feinheit, Glanz, Leichtigkeit und auch die schönen Naturfarben der Kaschmirwolle sind unumstritten und werden nach wie vor ihren Wert behalten, ganz abgesehen von dem magischen Namen Kaschmir.